Unerbittlicher Gebirgskrieg

von Manfried Rauchensteiner

Am 23.Mai 1915 verkündeten in Italien wie in Österreich-Ungarn Tausende Plakate den Beginn einer neuen Phase des Weltkriegs. Der König von Italien, Vittorio Emanuele III., erklärte dem mit ihm bis wenige Tage zuvor verbündet gewesenen Kaiser von Österreich Franz Joseph I. den Krieg.

Dass sich Österreich-Ungarn und Italien trotz eines seit 1882 bestehenden Bündnisses, in das auch das Deutsche Reich eingeschlossen war, auf den Krieg vorbereitet hatten, war überall dort abzulesen gewesen, wo Festungen gebaut und Sperren vorbereitet worden waren. Am auffälligsten war das wohl in den Dolomiten, auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden, wo seit 1906 gewaltige Sperrforts errichtet worden waren, die einen Vormarsch in den Tälern, aber auch über die Gebirgskämme verhindern sollten. Mit einem außerordentlichen Aufwand waren auf italienischer Seite zwei Gruppen von Panzerwerken gebaut worden, denen schließlich auf österreichischer Seite sechs Sperrforts gegenüber lagen. Ab dem Mai 1915 sollten sie in Aktion treten.

Abseits der Dolomiten, aber immer noch im Gebirge, waren weit weniger Vorbereitungen getroffen worden. Doch eines sollte jedenfalls geschehen: beide Seiten wollten die Gipfel besetzen und hofften, sich nicht nur auf den Zwei- und Dreitausendern halten zu können, sondern auch den neuen Feind aus seinen Stellungen zu verjagen. Krieg um Gipfel, in unwirtlichen Regionen, bis dahin die Domäne der Bergführer und Alpinisten gewesen waren, sollte ein Novum in der Kriegsgeschichte sein. Der dritte Abschnitt der neuen Front war wohl traditioneller, da es im Verlauf der Karstabhänge entlang des Isonzo darum ging, eine wenig bewohnte Gegend zu durchmessen bzw. zu behaupten. Was aber da wie dort in den operativen Planungen der Generalstäbe als bloßer Annahme erschien, musste erst mit Menschen gefüllt werden. Also wurden Soldaten antransportiert, solange bis an der Dolomiten- und an der Kärntner Front rund 250 000 Italiener in Stellung gingen und am Isonzo 210 000 Mann, denen auf österreichisch-ungarischer Seite nur jeweils halb so viele Soldaten gegenüber standen.

Die Truppen an der Front mussten durch eine aufwendige Logistik in die Lage versetzt werden, das zu tun, was man von ihnen erwartete, nämlich kämpfen. Also wurden rund dreimal so viel Soldaten dazu verwendet, den Nachschub sicher zu stellen, und vor allem auch die Toten und Verwundeten zu ersetzen. 1914, am Beginn des Großen Kriegs, hatte es noch den Anschein gehabt, als würden europaweit die Menschen nur darauf gewartet haben, loszustürmen und den Krieg als das große Abenteuer zu bestehen. Mittlerweile war eine Ernüchterung eingetreten, und gerade auf italienischer Seite war zum Wenigsten etwas von Euphorie zu spüren. Das merkte man spätestens in dem Augenblick, als den Soldaten der Vormarsch befohlen wurde und sie nur zögernd angriffen. Am leichtesten schien es wohl, die Artillerie einzusetzen, denn ihre Geschosse trugen den anonymen Tod mit sich. Etwas ganz anderes war es, die Bodentruppen anzutreiben und regelrecht anrennen zu lassen. Denn die österreichisch-ungarischen Armeen, die einen emotionalen Krieg begannen und den Kriegseintritt des bisherigen Verbündeten als „Perfidie“ empfanden, setzten alles daran, den Italienern ein Vordringen zu erschweren, ja unmöglich zu machen.

Auf beiden Seiten herrschte Unerbittlichkeit. Und Angreifer wie Verteidiger hatten vom ersten Tag an ungeheure Verluste. Da es den italienischen Armeen in keinem Abschnitt gelang, ihre Ziele zu erreichen und den Vormarsch in das Innere Österreichs zu bewerkstelligen, fasste das k.u.k. Armeeoberkommando am Beginn des Jahres 1916 den Entschluss, nun seinerseits offensiv zu werden. In den Dolomiten wurden zwei Armeen zusammen gezogen, die in die venezianische Tiefebene vorstoßen und solcherart den Krieg entscheiden sollten. Die sogenannte „Strafexpedition“ begann fast auf den Tag genau am Jahrestag des italienischen Kriegseintritts, führte jedoch nicht zum erwarteten Zusammenbruch Italiens.

Für weitere eineinhalb Jahre dominierte der Abnützungskrieg. In den Bergen begannen Italiener und Österreicher damit, die Besatzungen besonders exponierter Positionen aus ihren Gipfelstellungen heraus sprengen zu wollen, was zwar spektakulär war, doch eben so wenig am Frontverlauf ändern konnte wie schließlich der im August 1916 begonnene Einsatz von Giftgas. Die Toten häuften sich. Nicht zuletzt auf der Hochfläche des Isonzo, wo um jeden Meter gerungen wurde. Im Herbst 1917 waren die österreichisch-ungarischen Truppen schließlich so geschwächt, dass sie tatsächlich fürchten mussten, einen weiteren italienischen Großangriff nicht aushalten zu können. Allerdings wollte nun Deutschland alles tun, um seinen wichtigsten Verbündeten, Österreich-Ungarn, vor einer militärischen Katastrophe zu bewahren. In einer gemeinsamen Offensive Ende Oktober und im November 1917 wurden schließlich zwei italienische Armeen vernichtet bzw. zum Rückzug in den Raum Venedig – Vicenza gezwungen. Doch so wie deutsche Truppen den Österreichern zu Hilfe gekommen waren, waren es nun britische und französische Divisionen, die Italien vor dem Zusammenbrechen bewahrten. Und abermals fand der Krieg seine Fortsetzung.

Im Juni 1918 traten die österreichisch-ungarischen Armeen zu ihrem letzten Ansturm an. Wieder, wie schon 1915 und 1916, waren die Schauplätze ebenso im Gebirge wie in der Ebene des Piave, doch die militärischen Möglichkeiten der Habsburgermonarchie waren erschöpft. Der Angriff scheiterte nach wenigen Tagen. Abermals erstarrte die Front. Doch Ende Oktober setzten die Alliierten zu ihrer entscheidenden Offensive an und erzwangen den Abschluss eines Waffenstillstands. Als er am 4. November 1918 in Kraft trat, war Österreich–Ungarn bereits in seine Teile zerfallen. In den Dolomiten und entlang der Gebirgsfront verließen die Soldaten ihre Stellungen und trachteten, ihre neuen Heimatländer zu finden. Dort, wo einmal die Isonzofront gewesen war, gingen über 300 000 österreichisch-ungarische Soldaten in italienische Kriegsgefangenschaft. Von denen, freilich, die 1915 erlebt hatten, dass der König von Italien dem Kaiser von Österreich den Krieg erklärt hatte, war nicht einmal mehr die Hälfte am Leben. 

Univ.-Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner, Doyen der österreichischen Militärgeschichte, ist Professor an der Universität Wien und war bis 2005 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien. Vor kurzem erschien sein umfassendes neues Standardwerk: „Der Este Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ (Böhlau-Verlag 2013, 1222 S., ISBN 978-3-205-78283-4)

Tirol 1915.
Eine erste Liebe.
Ein gnadenloser Krieg.

Kinostart
März 2014

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